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Spinnen

Angelika Kraft-Böhm bei der Vorführung ihrer SpinnkünsteDas Spinnen ist eine Technik zur Herstellung von Fäden, die dann zu Kleidung weiter verarbeitet werden können. Beim Spinnen werden lose und ungeordnete Fasern gleichzeitig verdreht und ausgezogen. Dadurch entsteht ein Faden, der dann auf die Spule aufgewickelt wird.

Spinnen ist eine uralte Fertigkeit des Menschen. Schon in der Steinzeit wurde Kleidung aus Woll- und Leinenstoffen hergestellt. Spinnwirtel – Gewichte zum Beschweren der Handspindel – wurden zum Beispiel bei den Ausgrabungen in Herxheim gefunden. Viele Völker mit textiler Tradition – Indios in Südamerika, Turkmenen, Navajos – haben unterschiedliche Spindelformen entwickelt. Es gibt Kreuzspindeln, Standspindeln, Balkanspindeln und so weiter. Manche davon haben einen spitzen Dorn, wie wir aus dem Märchen von Dornröschen wissen.

Auch in Europa war bis ins Mittelalter hinein nur die Handspindel bekannt Es braucht 12 fleißige Handspinnerinnen, um einen einzigen Weber mit Material zu versorgen – da ist es kein Wunder, dass Frauen fast jede freie Minute mit der Handspindel verbrachten. Im Römischen Reich wurden sie dafür besonders geachtet. “Sie hielt das Haus in Ordnung und arbeitete mit Wolle” war ein römischer Grabspruch.

Schon früh entstanden Tuchmanufakturen in Europa und im Orient – immer noch von Spinnerinnen mit der Handspindel bedient, die meist in Heimarbeit arbeiteten. Dann, gegen Ende des 12. Jahrhunderts, gelangte das Spinnrad aus dem orientalischen Raum nach Europa. In einigen Städten – z.B. in Speyer – wurde der Gebrauch des Spinnrades für die Tuchmacherzunft verboten, weil die mit dem Spinnrad gesponnene Wolle angeblich zu schlecht und zu ungleichmäßig war. Trotzdem begann sich das Spinnrad im 13. Jahrhundert rasch in Mitteleuropa zu verbreiten. Selbst nach der Erfindung der Spinnmaschine wurde das Spinnrad im häuslichen Bereich weiter genutzt und gehörte bis ins 19. Jahrhundert zur Aussteuer der Braut. In ländlichen Gegenden gab es den Brauch der Spinnstube, in der die jungen Leute des Dorfes abends beisammen saßen und erzählten, Lieder sangen oder den neuesten Klatsch austauschten.

Tücher und Schals aus gesponnener, pflanzengefärbter Wolle Gesponnene, pflanzengefärbte Wolle

Auch heute noch wird das Spinnrad genutzt. Das Internet verbindet Hobby-Spinnerinnen und Spinner und sorgt für regen Austausch wie früher die Spinnstube. Omas Spinnrad allerdings sollte man eher als Dekoration verwenden. Es gibt heute High-Tech-Spinnräder mit futuristischem Design, klappbare Spinnräder, Reisespinnräder und andere. Aber auch eher traditionell aussehende Spinnräder haben heute Kugellager, Kunststofftreibriemen und variable Übersetzungen (“Mehrgangschaltung”).

Angelika Kraft-Böhm
Fotos: Rosi Lauber